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Das Dilemma der Kennzeichnung. Warum das “Recht zu wissen” zur Dämonisierung der Gentechnik führt

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Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln – das ist  unsexy, langweilig und so was von selbstverständlich. Niemand, selbst die großen Konzerne und Biotechnologie-Verbände nicht, kann es sich leisten, eine Abschaffung der Kennzeichnung zu fordern. Eher geht die Tendenz in die andere Richtung: Alle Ausnahmen und Lücken sollten gestopft werden.

In den USA ist das noch anders. Dort gibt es bisher keine Kennzeichnungspflicht, allenfalls sind Hinweise vorgeschrieben, wenn ein Produkt – durch Gentechnik und welche Technologie auch immer – veränderte Eigenschaften aufweist. Das könnte sich bald ändern. Denn in Kalifornien stehen am 4. November nicht nur Barack Obama oder Mitt Romney zur Wahl, sondern auch die Kennzeichnung  für Genfood. Prop 37 heißt der Gesetzesvorschlag, den fast eine Million Unterschriften auf den Stimmzettel gehievt haben. (Dass es da viel mehr Ausnahmen geben soll als in Europa ist an dieser Stelle unerheblich.)

Ganz plötzlich ist das ein heißes öffentliches Thema. Inzwischen laufen die Kampagnen dazu auf vollen Touren: Die Fronten sind klar: Für Prop 37 sind zahlreiche Unternehmen und Verbände aus der Organic Food-Branche (und die Demokratische Partei in Kalifornien), dagegen die großen Agro- und Lebensmittelkonzerne (und die Republikanische Partei). Und inzwischen sind auch die David-Goliath-Rollen richtig verteilt:  Die Pro-Seite – für die Kennzeichnung – hat bisher knapp 3 Millionen US-$ eingesammelt, die Contra-Seite 12 Millionen.

So weit so gut. In Europa regt das niemanden auf. Die Amerikaner müssen nun nachholen, was jedem Verbraucher als „gutes Recht“ zusteht. Gegen die eingängige, überzeugende Forderung nach Right to know lässt sich kaum etwas sagen. Oder doch?

Viele Wissenschaftler tun es. In Videos, Interviews, Blogpost, Unterschriftensammlungen sprechen sie sich  gegen die Kennzeichnung aus. Ihr Motiv ist es nicht, den Konsumenten Informationen vorzuenthalten, sondern, wie es der Evolutionsbiologe Michael Eisen von der University of California in Berkely  ausdrückt, der War on science. Wie die Pflanzenpathologin Pamela Ronald, der Agrarökonom David Zilberman oder der Gartenbauwissenschafler Kevin M. Folta ist Eisen verärgert, dass die Pro-Label-Kampagne nicht nur die Gentechnik, sondern eine molekularbiologisch ausgerichtete Pflanzenforschung an den Pranger stellt. Da werde eine Wissenschaft diskreditiert, auf die man angesichts der großen Herausforderungen einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Landwirtschaft nicht verzichten könne.

Die Right to know-Forderung wäre belanglos, wenn sie nicht zu einer Wahl zwischen gut und böse hochstilisiert würde. Denn bisher hat sich in den USA kaum jemand um Gentechnik beim Essen geschert – in einem Land, wo gentechnisch veränderte Pflanzen auf hunderten Millionen Hektar angebaut und seit 15 Jahren bisher weitgehend klaglos verfüttert und verspeist werden. Und so ist in der schrillen Propaganda der Pro-Label-Kampagne Genfood so ziemlich an allem Schuld: Es macht dick und unfruchtbar, verursacht Krebs, Allergien und alle möglichen Krankheiten. Wer diese Horrorszenarien nicht teilt und sich dabei auf seriöse wissenschaftliche Studien beruft, dem wird unterstellt im Dienste von Monsanto und Co zu stehen. „Kann man nicht zwischen den Geschäftspraktiken eines Konzerns und der Wissenschaft unterscheiden?“, beschwert sich Kevin Folta in der Huffington Post.

Niemand würde sich um die Kennzeichnung scheren, wenn „ohne Gentechnik“ so etwas Ähnliches wäre wie koscher, halal oder vegan – kulturell gewachsene Nahrungstabus oder Ernährungsweisen, die man als private Grundeinstellung respektiert wie den Glauben, ohne diesen vom eigenen Standpunkt aus zu bewerten oder infrage zu stellen.

Was sich jetzt in den USA abzeichnet, war in Europa ähnlich. Mitte der 1990er Jahre wollte der damalige EU-Binnenmarktkommissar Martin Bangemann (FDP) gentechnisch veränderte Lebensmittel nur dann kennzeichnen, wenn als Folge dieses technischen Eingriffs die stoffliche Zusammensetzung eines Produkts substanziell verändert worden wäre. Bangemann und die Kommission scheiterten und in mehreren Schritten wurde dann die Idee einer produktorientierten Kennzeichnung in eine technologieorientierte umgewandelt wie sie noch heute besteht. Im Kern (und abgesehen von den zahlreichen Ausnahmen) ist jede Anwendung der Gentechnik zu kennzeichnen, auch wenn sie im Produkt stofflich nicht mehr nachweisbar ist.

Gedacht war Kennzeichnung ursprünglich als „neutrale“ Information, doch inzwischen wird sie ausschließlich als Warnhinweis verstanden. Viele haben das gefördert: Gentechnik-Gegner, die so lange vor Supermärkten demonstrieren, bis korrekt gekennzeichnet Produkte aus den Regalen genommen werden, Unternehmen, die auf Druck von Verbänden versprechen, alle kennzeichnungspflichtigen Produkte auszulisten und das endlose Spiel mit Studien, aus denen sich vage Hinweise auf Gesundheitsrisiken herausdestillieren lassen. Man stelle sich vor, Juden würden mit solchen Methoden die Lebensmittelhändler  zwingen, alle nicht-koscheren Produkte auszulisten.

Es scheint unausweichlich: Kennzeichnung wird in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Gentechnik zwangsläufig zu einem Warnhinweis. Niemand kauft, was schlecht oder gefährlich sein könnte.

Cara Santa Maria (Huffington Post), Talk nerdy to me
Genetically Modified Food: ‘The Controversy Is Really Curious To Scientists’ (with Kevin M. Folta)

 

 


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