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Gentechnik-Kennzeichnung: Bis zum letzten Molekül?

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In ihrer „Erfurter Erklärung“  fordert das europäische Netzwerk „gentechnik-freier Regionen“, dem sich auch Thüringen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen angeschlossen haben, eine „umfassende, einheitliche“ Kennzeichnungspflicht. Die drei Bundesländer – Bayern will sich noch anschließen – wollen eine entsprechende Gesetzesinitiative in den Bundesrat einbringen. Was genau unter einer „umfassenden“ Kennzeichnung zu verstehen ist, sagt weder die Erfurter Erklärung, noch die Presserklärungen der drei Landesregierungen. Aus gutem Grund: Mit der plakativen Forderung können sich die Landesminister entschlossen für „Wahlfreiheit“ und die Interessen der Verbraucher einsetzen, ohne genau sagen zu müssen, wie sie sich das vorstellen und wie sie es politisch durchsetzen wollen.

Klar ist nur, was derzeit alles von der Kennzeichnung ausgenommen ist.

  • Milch, Eier, Fleisch von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen und Zusätzen gefüttert wurden.

Gut, da ist man sich weitgehend einig, diese Lücke zu schließen. Doch wie das praktisch gehen könnte, bleibt nebulös. Am Lebensmittel selbst ist es nicht nachweisbar, was das Tier, von dem es stammt, gefressen hat. Um Verbrauchertäuschungen auszuschließen, müssten komplizierte, bürokratische und teure Rückverfolgbarkeitssystem aufgebaut werden.

  • Zusatzstoffe, Enzyme, Vitamine, die mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden.

Auch in diesem Bereich ist – wie beim Tierfutter – die Gentechnik weit verbreitet. Doch im Einzelfall wissen es die Hersteller meist selbst nicht, wie die Stoffe hergestellt werden, die sie verarbeiten. Überprüfbar wäre das erst, wenn die gentechnische Anlagen und das, was darin hergestellt wird, genehmigungspflichtig würden – so wie heute der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Auch das würde den Überwachungs- und Kontrollapparat enorm aufblähen. Bei der Einfuhr von Vitaminen, Enzymen und Zusatzstoffen, die heute zu einem großen Teil in Asien produziert werden, müsste man ähnlich kontrollieren wie heute bei pflanzlichen Agrarrohstoffen.

  • „Zufällige, technische unvermeidbare“ Beimischungen von (zugelassenen) gv-Pflanzen in Lebensmitteln, die heute bis 0,9 Prozent ohne Kennzeichnung erlaubt sind.

Wer grundsätzlich gegen die Gentechnik ist und konsequent alle Produkte meiden will, erwartet, jede noch so geringe Beimischung unter die Kennzeichnungspflicht zu stellen. Doch schon heute findet die Lebensmittelüberwachung etwa in jedem vierten Soja- und fast in jedem zehnten Maisprodukt Gentechnik-Spuren. Und wenn die Analysemethoden in Zukunft noch empfindlicher werden, dann wird irgendwann noch das letzte „fremde“ DNA-Bruchstück gefunden werden. (Es wäre rein zufällig und selbst für einen gewissenhaften „ohne-Gentechnik“ Hersteller grundsätzlich nicht vermeidbar, dass  sich ein paar GVO-Moleküle in sein Produkt verirren.)

Wenn es eine wirklich umfassende Kennzeichnung ohne Ausnahme gäbe, dann müssten am Ende nahezu alle Lebensmittel gekennzeichnet werden – auch Bioprodukte oder Lebensmittel, die sich heute mit dem „ohne Gentechnik“ Siegel schmücken. Wenn es fast überall draufsteht und Produkte im Hinblick auf die Gentechnik nicht mehr unterscheidbar sind, dann verliert Kennzeichnung seinen Zweck: die Wahlfreiheit .

Die Politik muss endlich aufhören, sich hinter der populistischen Forderung nach einer „umfassenden, lückenlosen Kennzeichnung“ zu verstecken. Sie muss erklären, dass es in der Natur und in der realen Welt des internationaler Handels keine absolute Gentechnik-Freiheit geben kann, sondern nur mehr oder weniger große Beimischungen. Was davon mit Hilfe der Kennzeichnung für eine „informierte Kaufentscheidung“ zugänglich gemacht wird – und was nicht, müssen Politik und Gesellschaft aushandel. Eine wissenschaftlich begründete Grenze gibt es dabei nicht.

Je weiter die Kennzeichnungspflicht reicht,

  • um so mehr Produkte sind davon betroffen, auch solche, die ausdrücklich ohne Gentechnik produziert werden,
  • um so weniger kann die Kennzeichnung zwischen bewusster Anwendung der Gentechnik und zufälligen Beimischungen unterscheiden,
  • um so höher werden die Kosten für Überwachung und Kontrolle, um so höher der Aufwand für getrennte Warenströme, Dokumentations- und Rückverfolgbarkeitssysteme, um so teurer am Ende die Lebensmittel,
  • kurz: um so kostspieliger und zugleich wertloser wird sie.

Am Ende muss die Politik, aber auch die „Zivilgesellschaft“ sagen, was ihr die Gentechnik-Kennzeichnung wert ist und wer dafür bezahlen soll.

Auch in Erfurt, auf der Konferenz der „gentechnik-freien“ Regionen, war die Meinungen dazu keineswegs einhellig. Während Vertreter der Grünen und der Verbraucherzentralen „umfassende Kennzeichnung“ etwa auch für gentechnisch hergestellte Vitamine und Zusatzstoffe forderten, lehnte das andere Teilnehmer ab. Enzyme und Vitamine würden doch im „geschlossenen System“ hergestellt. Zudem wäre dann jeder Käse – wegen des häufig an Stelle des Labferments verwendeten Chymosins – als „gentechnisch verändert“ zu deklarieren. Wenn ausnahmslos gekennzeichnet werden müsste, so Alexander Hissting, Geschäftsführer des „Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik“ (VLOG) nach einem Bericht auf Südthüringen.de, könnte der gentechnikkritische Verbraucher resigniert aufgeben. Im Klartext: Wer gegen Gentechnik ist, muss sich für eine Kennzeichnung einsetzen, die bestimmte Anwendungen ausklammert. (Dass es dabei auch um die wirtschaftlichen Interessen der „ohne Gentechnik“-Unternehmen geht, ist noch eine andere Geschichte.)

Also: Wie weit soll die Gentechnik-Kennzeichnung reichen? Und wie viel darf sie kosten?

 


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