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„Ohne Transparenz kein Vertrauen.“ Gentechnik-Befürworter in den USA plädieren für eine umfassende Kennzeichnung

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Am 5. November stimmt die Bevölkerung im US-Bundesstaat Washington über eine Initiative (I-522) zur Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel ab. Kurz vor der Entscheidung liegen die Befürworter in den Umfragen deutlich vorn, und es wäre eine Überraschung, wenn es den Kennzeichnungs-Gegnern – trotz der mit Spenden aus der Industrie gut gefüllten Kassen – wie vor einem Jahr in Kalifornien im letzen Moment noch gelingen sollte, das Blatt zu wenden. „Der Kampf ist verloren“, provozierte der britische Buchautor Mark Lynas und bekannte Gentechnik-Konvertit seine Zuhörer bei seinem Vortrag auf dem Food Integrity Summit am 15. Oktober in Chicago. Mehr noch: Er plädierte vehement für eine verbindliche, US-weit einheitliche und umfassende Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln.

Damit stellt sich Lynas – wie zuvor schon andere aus dem Umfeld der Modern Greens – gegen die gewohnte Schlachtordnung. Lynas ist spätestens seit seinem Vortrag auf der Oxford Farming Conference Angang 2013 ein prominenter Befürworter der Grünen Gentechnik. Und die sind in den USA normalerweise strikt gegen jede Kennzeichnung – und haben sich bis heute damit politisch durchgesetzt. Seit 15 Jahren nutzen die US-Landwirte vor allem aus wirtschaftlichen Gründen ganz selbstverständlich gentechnisch veränderte Pflanzen. Die Konsumenten in den Städten haben davon kaum etwas erfahren – und es hat sie auch lange Zeit nicht groß gekümmert.

Doch nun verschieben sich die Kräfteverhältnisse. Seit etwa zwei Jahren erhält die Label it-Kampagne immer mehr Zulauf. In dreißig US-Bundesstaaten sind Gesetzesinitiativen eingebracht, die alle eine mehr der weniger weitreichende Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel einführen wollen. Mit ihrer simplen Right to know-Forderung haben die Gentechnik-Gegner – Umwelt- und Verbraucherorganisationen, auch der in den USA wachsende Organic Food-Sektor – immer mehr mediale und gesellschaftliche Resonanz gefunden. Die andere Seite – vor allem die Großen aus der Lebensmittel- und Agrarindustrie, aber auch Landwirte und Wissenschaftler – versucht, in jedem einzelnen Bundesstaat die Einführung einer Kennzeichnungspflicht zu verhindern. Mit viel Geld, aufwändigen Kampagnen und dem offenbar populären Argument, eine Kennzeichnung würde über einen höheren Aufwand für eine Trennung und Überwachung der Warenströme zu deutlich höheren Lebensmittelpreisen führen, ist das bis jetzt auch gelungen.

Aber, so Mark Lynas in Chicago, das ist die falsche Strategie. Nicht nur, weil sie schon in Washington scheitern könnte. Die Kampagnen der Industrie, ihre Weigerung, ihre nach eigenen Aussagen doch so guten, sicheren Produkte zu kennzeichnen, verstärken nur das Misstrauen, das die Pro-Label-Kampagnen der Gentechnik-Gegner gesät haben. „Können Sie sich eine bessere Steilvorlage für die Angstmacher vorstellen als die Frage: Warum will Monsanto nicht, dass wir wissen, was in unseren Lebensmitteln steckt? Was versuchen sie uns zu verbergen?“

Es sei zwar unbestritten, dass für die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler gentechnisch veränderte Lebensmittel  erwiesenermaßen sicher sind. Doch viel wichtiger, so Lynas, sei das Framing, der soziale Kontext, in dem dieses Argument wahrgenommen wird. „Psychologisch ist das doch einleuchtend: Wenn jemand etwas vor anderen zu verbergen versucht, dann ist es unausweichlich, dass das, was verborgen wird, in den Verdacht gerät, irgendwie problematisch oder gefährlich zu sein. Oder anders ausgedrückt: Wenn man als Konsument nicht die Wahl hat, wenn nicht zugestanden wird, ein eigenes Urteil zu bilden, dann glaubt man umso leichter, dass die Experten in den weißen Kitteln uns etwas verschweigen wollen.“

Für Lynas ist es die wohl schlechteste aller denkbaren PR-Strategien: Mit immensem Werbe- und medialem Aufwand werden Kampagnen geführt, deren vorrangiges Ziel es ist, dass die Verbraucher nicht erfahren, in welchen Lebensmitteln die eigenen Produkte verwendet werden. „Das ist das glatte Gegenteil von Werbung.“

Lynas plädiert dafür, dass sich die Unternehmen und Gentechnik-Befürworter an die Spitze der Label it-Kampagne stellen. Er schlägt eine umfassende, US-weit einheitliche Kennzeichnung ohne Ausnahmen vor. Anders als die Gentechnik-Kritiker will Lynas auch die Verwendung von gv-Futtermitteln auf Milch und Fleischprodukten kennzeichnen, ebenso mit gv-Mikroorganismen hergestellte Vitamine und Zusatzstoffe. Nur eine klare, konsequente Kennzeichnung ohne Schlupflöcher und Ausnahmen könne den Ängsten vor alle möglichen Krankheiten und Gefahren entgegenwirken, mit denen die Pro-Label-Aktivisten ihre Kampagnen unterfüttern. Außerdem müsse eine verbindliche Kennzeichnung schnell und in allen Bundesstaaten zugleich eingeführt werden, um jahrelange Auseinandersetzungen und eine weitere Erosion des Verbrauchervertrauens zu vermeiden. In einer aktuellen Umfrage der Huffington Post meinen bereits 35 Prozent der Amerikaner, gentechnisch veränderte Lebensmittel seien nicht sicher, 44 Prozent sind noch unentschieden. Diese Zweifel werden – ähnlich wie in Europa – zunehmen, je länger der Streit dauert.

Label GMO

Ramez Naam: “Ein simples Argument, das kaum zu wiederlegen ist.”

Ähnlich wie Lynas hatte sich zuvor auch der bekannte Buchautor Ramez Naam (The Infinite Ressource: The Power of Ideas on a Finite Planet) im Collide-a-Scape-Blog von Keith Kloor geäußert. Wie Lynas sieht er gentechnische Verfahren als unverzichtbare Werkzeuge, um Pflanzen für eine nachhaltige, weniger Ressourcen verbrauchende Landwirtschaft zu entwickeln. Deshalb müsse verhindert werden, dass die Technologie – wie in Teilen Europa bereits geschehen –  gesellschaftlich pauschal diskreditiert werde.

Wenn wir die Kennzeichnung immer nur verhindern wollen, so Raam, führen wir den Gentechnik-Gegnern immer wieder neue Energie. zu „Wir lösen damit mehr Furcht und Paranoia aus als weniger. Wir drängen die, die noch keine feste Meinung haben, ins Lager der Gegner, weil es einfach irgendetwas zu verbergen geben muss, wenn die Industrie so vehement gegen die Kennzeichnung kämpft.“

Lynas, Raam und einige andere haben zwar ein großes Echo ausgelöst, doch weder in Washington, noch in der US-Bundespolitik hat sich bisher an den Fronten etwas geändert. Kurz vor der Abstimmung am 5. November laufen die Kampagnen auf beiden Seiten jedenfalls wie geschmiert.

(Foto oben: iStockphoto)

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